
Quelle: plos.org
Wenn die Erschöpfung nicht enden will: Wie Long Covid das Leben zerreißt
Stell dir vor, du stehst morgens auf – und fühlst dich, als hättest du einen Marathon hinter dir. Dein Kopf ist wie in Watte gepackt, selbst einfache Sätze zu formulieren, wird zur Qual. So beschreiben viele Long-Covid-Betroffene ihren Alltag. Eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Freiburg wirft nun ein grelles Licht auf diese oft unsichtbare Krankheit. Die EPILOC-Forscher*innen haben über 1.500 Menschen untersucht, die nach einer Corona-Infektion nicht mehr gesund wurden. Was sie fanden, ist alarmierend: Zwei Jahre nach der Infektion kämpfen zwei Drittel der Erkrankten immer noch mit extremen Einschränkungen.
Das stille Leiden: Chronische Müdigkeit und ein Körper im Streik
„Es fühlt sich an, als würde mir jemand jeden Morgen heimlich Steine in meine Glieder legen“, erzählt eine 34-jährige Teilnehmerin der Studie. Solche Berichte sind keine Einzelfälle. Die EPILOC-Daten zeigen ein erschreckendes Muster:
- Fatigue dominiert bei 78 % der Betroffenen – nicht einfach „Müdigkeit“, sondern eine lähmende Erschöpfung, die selbst nach minimaler Anstrengung tagelang andauert.
- Kognitive Einbrüche: Konzentrationsstörungen, Gedächtnislücken und „Brain Fog“ machen vielen das Arbeiten unmöglich. Eine Lehrerin berichtet, sie verlege plötzlich die Namen ihrer Schüler*innen, obwohl sie seit 15 Jahren unterrichtet.
- Körperlicher Verfall: Atemnot bei Treppensteigen, Herzrasen beim Aufstehen, Schlafstörungen trotz Erschöpfung – der Teufelskreis ist brutal.
Doch das eigentlich Beunruhigende: Laborwerte zeigen kaum Auffälligkeiten. „Es ist, als würden wir gegen Gespenster kämpfen“, sagt Studienleiter Dr. Peter. „Die Symptome sind real, aber unsere üblichen Diagnosewerkzeuge greifen nicht.“
Die soziale Katastrophe: Wenn das Leben in Zeitlupe abläuft
Hinter den nackten Zahlen verbergen sich zerrüttete Existenzen. Die Studie dokumentiert Fälle von Top-Sportlerinnen, die jetzt stockend atmen, während sie eine Tasse tragen. Akademikerinnen, die sich stundenlang auf einen einzigen E-Mail-Satz konzentrieren müssen. Eltern, die ihre Kinder nicht mehr hochheben können.
„Die Arbeitsfähigkeit bricht bei vielen um 60-80 % ein“, erklärt Dr. Peter. Eine 42-jährige Projektmanagerin schildert: „Ich musste meinen Job aufgeben. Mein Gehirn funktioniert einfach nicht mehr zuverlässig.“ Das Paradoxe: Äußerlich wirken viele Betroffene gesund – was zu Unverständnis im Umfeld führt. „Meine Familie denkt, ich simuliere“, berichtet ein Teilnehmer unter Tränen.
Forschung am Limit: Die Jagd nach Antworten
Warum erholen sich manche Menschen, während andere in diesem Albtraum gefangen bleiben? Die Wissenschaft tappt noch im Dunkeln. Ein Verdacht liegt auf dem Skelettmuskelstoffwechsel – könnten gestörte Energieprozesse in den Muskeln die Fatigue erklären? Auch dysfunktionale Atmungsmuster werden untersucht. „Manche Patient*innen atmen im Ruhezustand wie bei Dauerbelastung“, so Dr. Peter.
Die Studie geht jetzt in die Tiefenanalyse: 11.000 Blutproben, Gewebeproben und neurologische Daten warten auf Entschlüsselung. Mit spezieller Sensorik wird sogar die Mikrodurchblutung der Muskeln gemessen. „Wir suchen nach Biomarkern – irgendeinem Anhaltspunkt, um Therapien zu entwickeln“, erklärt das Team.
Ein Funken Hoffnung – und die Frage nach der Solidarität
Finanziert mit 2,3 Millionen Euro vom Land Baden-Württemberg, ist EPILOC ein Leuchtturmprojekt. Doch die Forscher*innen betonen: „Das reicht nicht. Wir brauchen internationale Vernetzung.“ Erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass frühe Rehabilitation schaden kann – Ruhephasen könnten entscheidend sein.
Unterdessen wächst der Druck auf das Gesundheitssystem. Von den ursprünglich 11.000 Befragten litten 25 % nach 6-12 Monaten noch an Symptomen. Hochgerechnet auf Deutschland wären das Millionen Betroffene. „Long Covid ist keine Nischenerkrankung mehr“, warnt Dr. Peter. „Es wird unsere Gesellschaft noch Jahre beschäftigen.“
Wie geht es weiter?
Die Studie bleibt in Bewegung. Neue Teilnehmerinnen werden rekrutiert, um Langzeitverläufe über 5+ Jahre zu tracken. Bis dahin appellieren Ärztinnen: „Nehmen Sie Betroffene ernst – auch wenn wir noch keine Patentlösungen haben.“