Post- und Long-COVID verstehen: Wenn der Körper nicht zur Ruhe kommt

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Für viele von uns hat sich das Leben nach einer COVID-19-Infektion grundlegend verändert. Was als eine Erkrankung begann, die “vorübergehen würde”, wurde für einige zu einem monatelangen oder sogar jahrelangen Kampf mit Symptomen, die nicht weichen wollen. Wenn du zu denjenigen gehörst, die unter anhaltenden Beschwerden nach einer COVID-19-Infektion leiden, möchten wir dir mit diesem Artikel nicht nur Informationen, sondern auch Verständnis und Hoffnung vermitteln.

Dieser Beitrag basiert auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Dr. Christiana Franke, einer Expertin auf dem Gebiet der neurologischen Post-COVID-Betreuung an der Charité am Campus Benjamin Franklin. Dr. Franke leitet dort die neurologische Post-COVID-Sprechstunde, die mittlerweile zur “neurologischen Postakutinfektionssyndrom-Sprechstunde” erweitert wurde – eine Entwicklung, die bereits viel über das veränderte Verständnis dieser Erkrankung aussagt.

Wir möchten dir ein umfassendes Bild davon vermitteln, was Post- und Long-COVID bedeutet, welche Symptome auftreten können, wie die Diagnose und Behandlung aussieht und welche Aussichten auf Besserung bestehen. Als Community von Betroffenen für Betroffene wissen wir, wie wichtig fundierte Informationen und das Gefühl sind, mit seinen Erfahrungen nicht allein zu sein.

Post-COVID und Long-COVID: Was ist der Unterschied?

Eine der häufigsten Fragen, die uns erreicht, betrifft den Unterschied zwischen Post-COVID und Long-COVID. Dr. Franke erklärt, dass diese Unterscheidung hauptsächlich auf dem zeitlichen Verlauf basiert:

  • Long-COVID bezeichnet Symptome, die direkt im Anschluss an die Akutinfektion auftreten und fortbestehen
  • Post-COVID bezieht sich laut Definition auf Symptome, die drei Monate nach der Akutinfektion noch vorhanden sind

In der praktischen Anwendung und im Erleben der Betroffenen verschwimmt diese Unterscheidung jedoch oft. Die Symptomatik ist weitgehend identisch, und viele Mediziner sowie Betroffene verwenden beide Begriffe mittlerweile austauschbar. Was uns vereint, sind nicht die Definitionen, sondern die gemeinsamen Erfahrungen mit den anhaltenden Beschwerden.

Es ist auch wichtig zu verstehen, dass Post-COVID-Symptome nicht immer unmittelbar an die Akuterkrankung anschließen müssen. Bei manchen Betroffenen können die Symptome auch zeitlich versetzt auftreten, manchmal sogar Wochen oder Monate nach der eigentlichen COVID-19-Erkrankung. Dies macht es sowohl für Betroffene als auch für Ärzte oft schwierig, den Zusammenhang zu erkennen.

Das Spektrum der Symptome: Wenn der ganze Körper betroffen ist

Das Post-COVID-Syndrom zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Vielfalt an Symptomen aus, die sowohl das zentrale Nervensystem (Gehirn) als auch den restlichen Körper (periphere Symptome) betreffen können. Dr. Franke hebt besonders die neurologischen Symptome hervor, da sie in ihrer Sprechstunde im Fokus stehen:

Zentrale (hirnbezogene) Symptome:

  • Konzentrationsstörungen: Viele Betroffene berichten, dass sie sich nicht mehr so gut konzentrieren können wie vor der Erkrankung. Alltägliche Aufgaben, die früher mühelos erledigt wurden, erfordern plötzlich enorme Anstrengung.
  • Fatigue (erhöhte Erschöpfbarkeit): Dabei handelt es sich um eine tiefgreifende Erschöpfung, die sich deutlich von normaler Müdigkeit unterscheidet. Sie kann sowohl psychisch als auch körperlich in Erscheinung treten. Betroffene beschreiben oft einen Zustand, als ob “die Batterien plötzlich leer sind” – und zwar schon nach minimaler Anstrengung.
  • Kopfschmerzen: Diese können in unterschiedlicher Form und Intensität auftreten und sprechen manchmal nur begrenzt auf übliche Schmerzmittel an.
  • Schwindel: Das Gefühl von Benommenheit, Schwanken oder Drehschwindel kann die Mobilität und den Alltag stark einschränken.

Periphere (den übrigen Körper betreffende) Symptome:

  • Sensibilitätsstörungen: Darunter fallen Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Taubheitsgefühle oder veränderte Wahrnehmung von Berührungen oder Temperatur.
  • Muskelschmerzen: Viele Betroffene leiden unter diffusen Schmerzen in verschiedenen Muskelgruppen, die wandern können und oft schwer zu lokalisieren sind.
  • Muskelschwäche: Das Gefühl von Kraftlosigkeit in bestimmten Muskelgruppen oder im gesamten Körper, selbst ohne vorherige Anstrengung.

Dies ist jedoch nur ein Ausschnitt des möglichen Symptomspektrums. Je nach individueller Situation können auch weitere Beschwerden auftreten, darunter:

  • Anhaltende Geruchs- und Geschmacksstörungen
  • Herzrasen oder Herzrhythmusstörungen
  • Atembeschwerden und anhaltender Husten
  • Magen-Darm-Beschwerden
  • Schlafstörungen
  • Stimmungsschwankungen, Angst oder Depression

Die Vielschichtigkeit dieser Symptome macht deutlich, warum ein interdisziplinärer Ansatz in der Diagnostik und Behandlung so wichtig ist. Es handelt sich nicht um eine Erkrankung, die nur ein Organsystem betrifft, sondern um ein komplexes Syndrom, das den gesamten Körper in Mitleidenschaft ziehen kann.

Die Herausforderung der Diagnose: Warum es keinen eindeutigen Test gibt

Eine der größten Herausforderungen im Umgang mit Post-COVID liegt in der Diagnosestellung. Dr. Franke betont einen wichtigen Punkt: Es gibt keinen spezifischen Biomarker, der eindeutig anzeigt, dass jemand an Post-COVID leidet.

“Wir können nicht diesen einen Blutwert bestimmen oder einen Wert im Nervenwasser bestimmen, der uns hilft bei der Differenzierung, ob es jetzt ein Post-COVID-Syndrom ist oder irgendeine andere Erkrankung”, erklärt Dr. Franke.

Diese diagnostische Unsicherheit kann für Betroffene besonders belastend sein. Viele von euch haben vielleicht die Erfahrung gemacht, dass Blutuntersuchungen, Bildgebungen und andere Tests “normal” oder “unauffällig” ausfallen, obwohl die Symptome real und einschränkend sind. Diese Diskrepanz zwischen subjektivem Leiden und objektiven Befunden führt manchmal dazu, dass Betroffene sich nicht ernst genommen fühlen oder an sich selbst zweifeln.

In der klinischen Praxis bedeutet dies, dass Ärzte umfangreiche differentialdiagnostische Überlegungen anstellen müssen. Das heißt, sie müssen systematisch andere mögliche Erkrankungen ausschließen, die ähnliche Symptome verursachen könnten. In manchen Fällen kann zunächst nur eine Verdachtsdiagnose gestellt werden, die im Verlauf weiter überprüft wird.

Für Betroffene ist es wichtig zu verstehen: Die Schwierigkeit, Post-COVID eindeutig zu diagnostizieren, bedeutet nicht, dass eure Symptome eingebildet oder weniger real sind. Es spiegelt lediglich den aktuellen Stand des medizinischen Wissens wider und die Komplexität dieser neuen Erkrankung.

Häufigkeit und Risikofaktoren: Wer ist besonders gefährdet?

Eine ermutigende Nachricht aus Dr. Frankes Erfahrung ist, dass die Anzahl der Menschen, die an einem Post-COVID-Syndrom leiden, “deutlich weniger ist, als wir ursprünglich mal gedacht haben”. Nach aktuellen Erkenntnissen entwickeln etwa unter 3% aller Personen, die eine COVID-19-Erkrankung durchgemacht haben, anhaltende Symptome im Sinne eines Post-COVID-Syndroms.

Diese Zahl mag für diejenigen, die betroffen sind, wenig tröstlich sein. Dennoch ist es wichtig zu wissen, dass die Mehrheit der COVID-19-Patienten vollständig genest und keine langfristigen Folgen davonträgt.

Es gibt jedoch bestimmte Faktoren, die das Risiko für die Entwicklung eines Post-COVID-Syndroms erhöhen können:

Prädispositionen (vorbestehende Faktoren):

  • Vorausgegangene Erkrankungen, insbesondere solche, die das Immunsystem betreffen
  • Autoimmunerkrankungen
  • Vorbestehende neurologische oder psychische Erkrankungen
  • Genetische Faktoren, die noch nicht vollständig verstanden sind

Faktoren im Zusammenhang mit der akuten COVID-19-Erkrankung:

  • Schwere des Verlaufs (obwohl auch nach milden Verläufen Post-COVID auftreten kann)
  • Art und Intensität der initialen Symptome
  • Virale Last und individuelle Immunantwort
  • Behandlungsform und -dauer während der Akutphase

Das Verständnis dieser Risikofaktoren ist sowohl für die Prävention als auch für die gezielte Nachsorge von Bedeutung. Es hilft Ärzten, Personen mit erhöhtem Risiko frühzeitig zu identifizieren und entsprechend zu begleiten.

Der interdisziplinäre Behandlungsansatz: Warum Teamarbeit entscheidend ist

Dr. Franke betont einen zentralen Aspekt in der Behandlung von Post-COVID-Patienten: “Ich glaube persönlich, und so handhaben wir es auch in unserer Sprechstunde, dass eine Behandlung tatsächlich nur im interdisziplinären Kontext aktuell durchgeführt werden kann.”

Dieser Ansatz reflektiert die Komplexität und Vielschichtigkeit des Post-COVID-Syndroms. Da die Symptome verschiedene Organsysteme betreffen können und oft sowohl körperliche als auch psychische Komponenten umfassen, ist die Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Fachrichtungen unerlässlich:

  • Neurologen für die Abklärung und Behandlung von Symptomen wie Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen oder Sensibilitätsstörungen
  • Internisten für die Untersuchung und Behandlung von Herz-Kreislauf-Symptomen, Atembeschwerden und anderen organischen Manifestationen
  • Psychosomatiker für die Betrachtung der Wechselwirkung zwischen körperlichen Symptomen und psychischem Wohlbefinden
  • Psychiater für die Unterstützung bei begleitenden psychischen Symptomen wie Angst, Depression oder Trauma
  • Physiotherapeuten für die Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit und Muskelkraft
  • Ergotherapeuten für die Unterstützung bei Alltagsaktivitäten und kognitiven Funktionen
  • Logopäden bei Sprach- oder Schluckstörungen

In der Praxis bedeutet dies für Betroffene oft, dass sie verschiedene Fachärzte und Therapeuten aufsuchen müssen. Diese Koordination kann anstrengend sein, besonders wenn man bereits mit Erschöpfung kämpft. Spezialisierte Post-COVID-Ambulanzen oder Sprechstunden, wie jene von Dr. Franke, versuchen daher, möglichst viele Disziplinen unter einem Dach zu vereinen, um die Versorgung zu erleichtern.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Behandlung ist die Schaffung von mehr wissenschaftlicher Evidenz durch Studien. Dr. Franke betont: “Ganz wichtig ist es natürlich, mehr Evidenz zu schaffen und Patienten in Studien einzuschließen, um dann auch wirklich Therapiemöglichkeiten den Patienten anbieten zu können.”

Durch die Teilnahme an klinischen Studien können Betroffene nicht nur möglicherweise Zugang zu neuen Therapieansätzen erhalten, sondern auch aktiv zur Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten für alle Post-COVID-Patienten beitragen.

Leben mit Post-COVID: Praktische Tipps für Betroffene

Als Betroffene für Betroffene wissen wir, dass das tägliche Leben mit Post-COVID-Symptomen eine immense Herausforderung darstellen kann. Hier sind einige praktische Empfehlungen, die auf den Erfahrungen anderer Betroffener und den Erkenntnissen aus der klinischen Praxis basieren:

Pacing und Energiemanagement

Eine der wichtigsten Strategien im Umgang mit Fatigue ist das sogenannte “Pacing” – das bewusste Einteilen der vorhandenen Energie:

  • Plane deinen Tag mit realistischen Erwartungen an deine Energiereserven
  • Lege regelmäßige Pausen ein, idealerweise bevor die Erschöpfung einsetzt
  • Führe ein Energie-Tagebuch, um Muster zu erkennen und Überanstrengung zu vermeiden
  • Priorisiere wichtige Aktivitäten und lerne, weniger wichtige Dinge aufzuschieben oder zu delegieren
  • Arbeite mit der “Löffeltheorie” (Spoon Theory): Stelle dir vor, du hast jeden Tag nur eine begrenzte Anzahl an “Löffeln” (Energieeinheiten) zur Verfügung

Kognitive Unterstützung bei Konzentrationsstörungen

Bei Konzentrations- und Gedächtnisproblemen können diese Strategien helfen:

  • Nutze externe Gedächtnisstützen wie Notizblöcke, digitale Erinnerungen oder Kalender
  • Reduziere Multitasking und konzentriere dich auf eine Aufgabe nach der anderen
  • Schaffe eine ruhige, ablenkungsarme Umgebung für konzentrationserfordernde Aufgaben
  • Plane kognitiv anspruchsvolle Aktivitäten für Zeiten, in denen du dich am fittesten fühlst
  • Kognitive Übungen können helfen, sollten aber behutsam und ohne Überanstrengung durchgeführt werden

Körperliche Aktivität und Rehabilitation

Körperliche Aktivität ist wichtig, muss aber vorsichtig und individuell angepasst werden:

  • Beginne mit sehr leichten Aktivitäten und steigere dich langsam (“Low and slow”)
  • Achte auf Symptome der Post-Exertional Malaise (PEM) – eine Verschlechterung der Symptome nach Anstrengung
  • Arbeite idealerweise mit Physiotherapeuten zusammen, die Erfahrung mit Post-COVID oder ähnlichen Erschöpfungszuständen haben
  • Probiere sanfte Bewegungsformen wie leichtes Yoga, kurze Spaziergänge oder Atemübungen
  • Respektiere die Grenzen deines Körpers und vermeide den “Push-Crash-Zyklus” (Überanstrengung gefolgt von Zusammenbruch)

Psychische Gesundheit und emotionale Unterstützung

Die psychische Belastung durch anhaltende Symptome sollte nicht unterschätzt werden:

  • Achtsamkeitspraktiken und Meditation können helfen, mit Ängsten und Sorgen umzugehen
  • Der Austausch in Selbsthilfegruppen oder Online-Communities bietet emotionale Unterstützung
  • Psychotherapeutische Unterstützung kann wertvolle Bewältigungsstrategien vermitteln
  • Erlaube dir Trauer über Verluste und Einschränkungen, die durch die Erkrankung entstanden sind
  • Fokussiere auf das, was noch möglich ist, statt nur auf Einschränkungen zu achten

Ernährung und Lebensstil

Die Grundlagen eines gesunden Lebensstils können unterstützend wirken:

  • Eine ausgewogene, nährstoffreiche Ernährung unterstützt den Heilungsprozess
  • Manche Betroffene berichten von positiven Erfahrungen mit entzündungshemmenden Ernährungsweisen
  • Achte auf ausreichende Hydration (Flüssigkeitszufuhr)
  • Etabliere einen regelmäßigen Schlafrhythmus und gute Schlafhygiene
  • Reduziere wenn möglich Stress und Umweltbelastungen (Lärm, chemische Reize)

Es ist wichtig zu betonen, dass diese Selbsthilfestrategien die medizinische Behandlung ergänzen, aber nicht ersetzen. Ein individueller, mit dem Behandlungsteam abgestimmter Ansatz ist immer der beste Weg.

Prognose und Heilungsaussichten: Gibt es Licht am Ende des Tunnels?

Eine der häufigsten und drängendsten Fragen von Betroffenen lautet: “Werde ich wieder gesund?” Dr. Franke gibt hierzu vorsichtig optimistische Auskunft:

“Wir sehen ja, dass viele, viele Patienten tatsächlich im ersten Jahr bereits eine Besserung ihrer Symptome berichten und auch wieder vollständig genesen können. Das würde ich sagen, sind die überwiegende, deutlich überwiegende Zahl der Patienten.”

Diese Aussage kann Betroffenen Hoffnung geben: Die Mehrheit der Menschen mit Post-COVID-Symptomen erlebt innerhalb des ersten Jahres eine deutliche Besserung oder sogar vollständige Genesung. Dies deckt sich auch mit Beobachtungen aus anderen Post-Infektions-Syndromen, bei denen ein großer Teil der Betroffenen im Laufe der Zeit wieder gesundet.

Allerdings fügt Dr. Franke auch hinzu: “Aber wir sehen auch Patienten, die auch Jahre nach einer akuten Infektion mit SARS-CoV-2 oder auch mit einer anderen viralen Infektion anhaltende Beschwerden haben.”

Diese Beobachtung spiegelt die Erfahrungen vieler Langzeitbetroffener wider. Für einen kleineren Prozentsatz der Post-COVID-Patienten können die Symptome über längere Zeit persistieren und zu einer chronischen Erkrankung werden.

Wichtige Faktoren, die die Prognose beeinflussen können, sind:

  • Die Frühzeitigkeit und Angemessenheit der Behandlung
  • Das individuelle Symptommuster und dessen Schweregrad
  • Vorbestehende Gesundheitszustände und Risikofaktoren
  • Die psychosoziale Unterstützung und Ressourcen des Betroffenen
  • Die Anpassung des Lebensstils und Einhaltung von Selbstmanagement-Strategien

Für Langzeitbetroffene betont Dr. Franke die Wichtigkeit weiterführender wissenschaftlicher Untersuchungen: “Hier ist es einfach an uns, wissenschaftlich zu untersuchen, was die Gründe dafür sind, um dann wiederum Therapiemöglichkeiten identifizieren zu können.”

Diese Aussage unterstreicht, dass die medizinische Gemeinschaft das Thema der langfristigen Post-COVID-Verläufe ernst nimmt und aktiv nach besseren Behandlungsmöglichkeiten forscht – eine wichtige Botschaft für diejenigen, die seit langer Zeit mit den Symptomen kämpfen.

Aktuelle Forschung und offene Fragen: Der Weg zu besseren Behandlungen

Die Forschung zu Post-COVID ist ein dynamisches Feld, in dem kontinuierlich neue Erkenntnisse gewonnen werden. Aktuell konzentrieren sich die wissenschaftlichen Bemühungen auf mehrere Schlüsselbereiche:

Pathomechanismen: Warum entstehen Post-COVID-Symptome?

Verschiedene Theorien werden derzeit erforscht:

  • Persistierende Virusreste: In manchen Geweben könnten Viruspartikel oder virale RNA verbleiben und anhaltende Entzündungsreaktionen auslösen.
  • Autoimmunreaktionen: Die COVID-19-Infektion könnte eine fehlerhafte Immunantwort triggern, bei der der Körper eigene Strukturen angreift.
  • Mikrovaskuläre Schäden: Schäden an kleinen Blutgefäßen könnten die Durchblutung und damit die Sauerstoffversorgung verschiedener Gewebe beeinträchtigen.
  • Dysregulation des autonomen Nervensystems: Störungen der unwillkürlichen Körperfunktionen könnten viele der Post-COVID-Symptome erklären.
  • Störungen der Mitochondrien: Als “Kraftwerke” der Zellen könnten beeinträchtigte Mitochondrien Erschöpfungszustände und Energiemangel verursachen.

Biomarker-Forschung: Auf der Suche nach objektiven Nachweismethoden

Wie Dr. Franke betont, fehlen derzeit spezifische Biomarker für Post-COVID. Die Forschung arbeitet intensiv daran, solche zu identifizieren:

  • Untersuchungen zu spezifischen Entzündungsmarkern im Blut
  • Analyse von Zytokinen (Botenstoffen des Immunsystems)
  • Bildgebungsstudien zur Durchblutung und Stoffwechselaktivität des Gehirns
  • Mikrobiom-Analysen zur Untersuchung der Darmflora
  • Funktionelle Tests zur Erfassung der körperlichen und kognitiven Einschränkungen

Therapeutische Ansätze: Neue Behandlungsmethoden

Die Entwicklung wirksamer Therapien ist ein zentrales Forschungsziel:

  • Medikamentöse Ansätze: Untersuchung von Antikoagulantien, Immunmodulatoren, antiviralen Mitteln und anderen pharmazeutischen Interventionen
  • Rehabilitationsprogramme: Entwicklung und Evaluierung strukturierter Rehabilitationsprogramme, die speziell auf Post-COVID-Patienten zugeschnitten sind
  • Ganzheitliche Ansätze: Integration von konventionellen und komplementären Therapien zur Behandlung der vielfältigen Symptome
  • Technologiebasierte Interventionen: Telemedizin, Apps und andere digitale Werkzeuge zur Unterstützung des Selbstmanagements

Die Teilnahme an klinischen Studien ist ein wichtiger Weg, um die Forschung voranzubringen. Wenn du als Betroffener Interesse hast, solltest du mit deinem behandelnden Arzt über mögliche Studienteilnahmen sprechen.

Prävention: Wie kann man Post-COVID vorbeugen?

Ein wichtiger Aspekt, den Dr. Franke hervorhebt, ist die Prävention. Die beste Strategie, um Post-COVID zu vermeiden, ist, eine COVID-19-Infektion zu verhindern oder deren Schwere zu reduzieren.

“Was sicherlich vor einer Post-COVID-Condition schützt, ist die Impfung, und deshalb empfehlen wir diese, seitdem sie zur Verfügung steht, und würden das auch weiterhin tun”, betont Dr. Franke.

Die Impfung kann auf zwei Wegen vor Post-COVID schützen:

  1. Sie reduziert das Risiko, überhaupt an COVID-19 zu erkranken
  2. Sie mildert bei einem Durchbruchsfall oft den Schweregrad der Erkrankung, was wiederum das Risiko für Post-COVID-Symptome senken kann

Interessanterweise erwähnt Dr. Franke auch, dass diese Empfehlung auch für andere virale Infektionen gilt. Dies unterstreicht den Zusammenhang zwischen der Vorbeugung von Akutinfektionen und der Vermeidung von Langzeitfolgen.

Neben der Impfung können weitere präventive Maßnahmen hilfreich sein:

  • Allgemeine Hygienemaßnahmen zur Reduktion des Infektionsrisikos
  • Gesunder Lebensstil zur Stärkung des Immunsystems
  • Frühzeitige und angemessene Behandlung bei COVID-19-Erkrankung
  • Ausreichende Schonung und Erholung während und nach der Akutphase

Für bereits von Post-COVID Betroffene ist es besonders wichtig, Reinfektionen zu vermeiden, da diese zu einer Verschlimmerung der bestehenden Symptome führen können.

Gemeinschaft und Unterstützung: Du bist nicht allein

Eine der wichtigsten Erkenntnisse für viele Post-COVID-Betroffene ist die Erfahrung, dass sie mit ihren Symptomen und Herausforderungen nicht allein sind. Als Community von Betroffenen für Betroffene möchten wir betonen, wie wichtig der Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung sind.

Die Erfahrung zeigt, dass der Austausch mit anderen Betroffenen mehrere wichtige Funktionen erfüllen kann:

  • Validation der eigenen Erfahrung: Die Bestätigung, dass die eigenen Symptome real sind und auch von anderen erlebt werden, kann enorm entlastend wirken.
  • Praktischer Erfahrungsaustausch: Von den Strategien und Lösungsansätzen anderer Betroffener zu lernen, kann den eigenen Umgang mit der Erkrankung verbessern.
  • Emotionale Unterstützung: Das Gefühl, verstanden zu werden und mit seinen Ängsten, Frustrationen und Hoffnungen nicht allein zu sein, ist unschätzbar wertvoll.
  • Gemeinsame Interessenvertretung: Als Gruppe können Betroffene ihre Stimme erheben, um mehr Aufmerksamkeit, Forschung und bessere Versorgungsstrukturen zu fordern.

Es gibt verschiedene Wege, sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen:

  • Lokale Selbsthilfegruppen
  • Online-Communities und Foren
  • Social-Media-Gruppen und Hashtags wie #LongCOVID oder #PostCOVID
  • Patientenorganisationen und Interessenvertretungen
  • Veranstaltungen und Webinare zu Post-COVID-Themen

Als Betroffene könnt ihr auch aktiv zum wachsenden Wissen über Post-COVID beitragen, indem ihr eure Erfahrungen teilt, an Umfragen und Studien teilnehmt oder euch in der Aufklärungsarbeit engagiert.

Hoffnung inmitten der Unsicherheit

Post-COVID ist eine komplexe Erkrankung, die das Leben vieler Menschen tiefgreifend verändert hat. Die gute Nachricht, die Dr. Franke vermittelt, ist jedoch, dass die deutliche Mehrheit der Betroffenen im Laufe der Zeit eine Besserung erfährt oder sogar vollständig genesen kann.

Für diejenigen, die längerfristig mit Symptomen kämpfen, ist es wichtig zu wissen, dass die medizinische Forschung aktiv nach besseren Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten sucht. Was heute noch unerklärlich oder unbehandelbar erscheint, könnte morgen schon besser verstanden und therapiert werden können.

Die Erweiterung von Dr. Frankes Sprechstunde von einer reinen Post-COVID-Sprechstunde zu einer “neurologischen Postakutinfektionssyndrom-Sprechstunde” zeigt auch, dass die Erkenntnisse aus der Pandemie zu einem breiteren Verständnis postinfektiöser Syndrome führen. Dies könnte langfristig nicht nur Post-COVID-Betroffenen zugutekommen, sondern auch Menschen mit ähnlichen Zuständen nach anderen Infektionen.

Als Gemeinschaft von Betroffenen für Betroffene möchten wir dich ermutigen:

  • Gib nicht auf, auch wenn der Weg zur Besserung länger dauert als erhofft
  • Finde die richtige Balance zwischen Akzeptanz deiner aktuellen Einschränkungen und aktiver Arbeit an der Verbesserung
  • Vertraue deinem Körper und deinen Erfahrungen, auch wenn Tests keine offensichtlichen Abnormalitäten zeigen
  • Suche dir Unterstützung – sowohl professionell als auch im Austausch mit anderen Betroffenen
  • Bewahre dir trotz aller Herausforderungen Momente der Freude und Dankbarkeit im Alltag

Wir stehen gemeinsam in dieser Herausforderung und können voneinander lernen, uns gegenseitig unterstützen und gemeinsam Hoffnung finden – auch in schwierigen Zeiten.


Dieser Artikel basiert auf Informationen von Dr. Christiana Franke, Leiterin der neurologischen Postakutinfektionssyndrom-Sprechstunde an der Charité am Campus Benjamin Franklin, und wurde mit dem Ziel erstellt, Betroffenen verständliche und einfühlsame Informationen zu bieten. Er ersetzt nicht die individuelle medizinische Beratung durch Fachpersonal.

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