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“Es fühlt sich an, als wäre mein Körper mein Gefängnis.” Diese Worte von Lisa bringen auf den Punkt, was viele Long Covid-Betroffene täglich erleben. Ihr Kopf ist voller Tatendrang und Pläne, doch der Körper lässt sie nicht mehr teilhaben am Leben. Lisa ist eine junge Frau in den 20ern, die vor ihrer Long Covid-Diagnose ein aktives Leben führte. Heute kämpft sie, wie Andrea, ein ehemaliger Olympia-Triathlet, mit den unberechenbaren Folgen einer Krankheit, die ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt hat.
Diese beiden Menschen stehen stellvertretend für Zehntausende von Betroffenen in der Schweiz und weltweit. Ihre Geschichten zeigen, wie Long Covid alle Lebenspläne zerstören kann – unabhängig vom Alter, der körperlichen Fitness oder dem sozialen Status. Sie verdeutlichen aber auch, dass trotz aller Rückschläge die Hoffnung nicht stirbt.
Lisa: Wenn jede Aktivität zur Überforderung wird
Lisa liebte es, Freunde zu treffen, zu wandern und ihre Zeit draußen zu verbringen. Das Leben war voller Möglichkeiten und Abenteuer. Heute kann sie nur noch in einer Wohngemeinschaft leben, in der sie auf Unterstützung angewiesen ist. Arbeiten ist für sie unmöglich geworden, und selbst ein kurzer Besuch in einer Bar endet mit schweren Erschöpfungssymptomen, die sie tagelang lahmlegen.
“Am Samstag war ich erstmals seit einem Dreivierteljahr wieder mit meinen Freundinnen in einer Bar. Ich wusste, dass es Konsequenzen haben wird. Ich habe mich auch darauf eingestellt. Aber es ist trotzdem nicht lustig”, erzählt Lisa. Der Preis für wenige Stunden Normalität sind Tage der kompletten Erschöpfung. Die laute Musik, die besoffenen Männer am Nebentisch, das Stimmengewirr – alles wurde zu viel. Nach einer halben Stunde musste sie sich draußen in einem Park hinlegen.
“Es fühlte sich an, als wäre mir der Stecker gezogen worden. Das Aufstehen ist anstrengend. Es ist keine Müdigkeit, wie ich sie von früher kenne. Ich fühle mich so richtig kaputt”, beschreibt sie ihren Zustand nach diesem Ausflug. Jede Aktivität braucht so viel Energie. Schwindel, zu helles Licht, zu laute Töne – alles ist zu viel. Der einzige Wunsch: sich sofort wieder hinlegen.
Diese extremen Reaktionen auf alltägliche Belastungen sind typisch für ME/CFS, eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die häufig durch Long Covid ausgelöst wird. Jeden Morgen muss Lisa schwere Entscheidungen treffen – Entscheidungen darüber, wofür sie ihre begrenzte Energie einsetzen kann.
Als bei Lisa Long Covid diagnostiziert wurde, lebte sie eine Zeit lang wieder bei ihren Eltern. Der Schritt zurück in eine WG war für sie mit großen Ängsten verbunden: “Ich hatte grosse Angst vor diesem Schritt. Ich hatte auch Angst, meine Mitbewohner zu enttäuschen, falls ich nach zwei Wochen wieder zurück zu meinen Eltern muss.” Doch sie schaffte es – “mit ganz viel Hilfe” – doch noch eine gewisse Art von Selbstständigkeit zu bewahren.
Das Schlimmste für Lisa ist das Gefühl, nicht mehr sie selbst zu sein: “Ich habe das Gefühl, jeder Mensch… Man definiert sich immer auch darüber, was man so macht. Über die Hobbys, die Leidenschaft. Alles, was ich gerne machte, kann ich nicht mehr machen.” Sie hat sich neue Hobbys gesucht – Häkeln, Stricken und Reality-TV schauen. “Aber es ist überhaupt nicht das, was mich ausgemacht hat, was ich gerne gemacht habe. Ich fühle mich nicht mehr wie ich selbst.”
Andrea: Der Olympionike im Fieber-Teufelskreis
Andrea ist ein völlig anderer Typ Mensch, aber seine Geschichte zeigt, dass Long Covid jeden treffen kann. Als erfahrener Profitriathlet, der sogar an Olympischen Spielen teilgenommen hat, war sein Leben von Disziplin, Training und sportlichen Erfolgen geprägt. 2023 wurde er noch am Ironman Switzerland Dritter. Einen Monat später lag er mit 40°C Fieber mehrere Wochen im Bett.
Seit einer Hirnhautentzündung nach der Covid-Infektion leidet er regelmäßig an hohem Fieber – teilweise bis zu 40°C – und an einer lähmenden Erschöpfung. Die Krankheit folgt einem unerbittlichen Zyklus: Alle paar Tage wird er für eine kurze Zeit fieberfrei, nur um dann wieder in die Krankheit zurückzufallen. “Bei meiner Krankheit werde ich jede Woche zweimal krank. Ich schätze es extrem, wenn ich wieder gesund bin”, erklärt Andrea.
“Ich muss täglich Fieber messen, jeden Morgen. Und ich muss die Temperatur in mein Tagebuch eintragen. Langsam habe ich keine Lust mehr, aber es ist extrem wichtig”, erzählt er und zeigt seine Fieberkurve. “Ich glaube es manchmal selbst nicht, wie viel Fieber ich die ganze Zeit habe. Es ist so, wie ich mich auch fühle: Es ist irgendwie aussichtslos.”
Die Unvorhersagbarkeit seiner Krankheit macht alles noch schwieriger: “Das ist auch schwierig. Ich mache mir immer Hoffnungen. Wenn man gesund wird, hat man kein Fieber mehr, es ist alles super und gut. Bei mir kam aber jedes Mal das Fieber zurück. Bis heute hoffe ich, dass das Fieber nicht mehr kommt.” Diese Hoffnung ist einerseits positiv und erhält ihn am Leben, andererseits führt sie zu immer neuen Rückschlägen und Enttäuschungen.
Als Berufssportler, der mit Wettkämpfen sein Geld verdient, ist die Situation besonders prekär: “Es ist natürlich schwierig, wenn das Risiko besteht, dass ich innerhalb von vier Tagen wieder krank bin.” Die Ärzte können ihm nicht großartig helfen. “Ich habe das Gefühl, ich müsse mich selbst heilen”, sagt Andrea resigniert.
Ein Leben in permanenter Unsicherheit
Für beide ist jeder Tag eine neue Herausforderung. Lisa musste lernen, ihre Energie penibel einzuteilen und oft Pausen einzulegen. Ein Besuch von Freunden oder ein längeres Gespräch kann für sie schon zu viel sein. “Wenn ich viel rede, atme ich auch nicht richtig. Man konzentriert sich auf anderes”, erklärt sie, während sie während des Interviews tiefe Atemzüge nehmen muss.
Andreas Freundin Eva ist eine große Stütze für ihn, auch wenn seine Krankheit für die Beziehung eine Belastungsprobe ist: “Da sich die Krankheit so zyklisch entwickelt hat und er seit Monaten auf den Tag genau drei oder vier Tage Fieber hat, wissen wir, was auf uns zukommt. Wir planen schon fast nach den fieberlosen Tagen.”
Die psychische Belastung ist für beide enorm. Das Verstehen und Bewältigen von Long Covid wird zu einer täglichen Herausforderung, die weit über die körperlichen Symptome hinausgeht. Lisa beschreibt ihre Situation so: “Mein Kopf will alles. Ich habe so viel Antrieb und Lust auf alles, was ich früher gemacht habe – jetzt natürlich noch viel mehr – und ich vermisse alles. Aber mein Körper hält mich immer davon ab. Ich kann nicht entscheiden, sondern muss einfach… Mein Körper trifft die Entscheidung für mich.”
Der Kampf mit dem System
Wie viele andere Long Covid-Betroffene in der Schweiz kämpfen auch Lisa und Andrea nicht nur gegen ihre Krankheit, sondern auch gegen ein System, das ihre Situation oft nicht versteht. Die harte Realität zwischen medizinischer Wahrheit und bürokratischen Hürden wird für sie zur täglichen Belastung.
In der Schweiz gibt es keine eindeutigen Zahlen dazu, wie viele Personen Long Covid haben. Die Schätzungen gehen von 70.000 bis zu 300.000 Betroffenen – eine erschreckende Bandbreite, die zeigt, wie wenig über das Ausmaß der Erkrankung bekannt ist. Wenn die IV versagt, stehen viele Betroffene vor dem Nichts.
Lisa kann nicht arbeiten und ist auf Unterstützung angewiesen. Andrea kann zwar noch trainieren, aber seine Wettkampfkarriere steht auf dem Spiel. Beide wissen nicht, ob sie jemals wieder ein normales Leben führen können. Wie man Ärzten die Symptome erklärt wird zu einer lebenswichtigen Fähigkeit, wenn das medizinische System die Krankheit nicht versteht.
Kleine Siege, große Hoffnung
Trotz aller Rückschläge geben Lisa und Andrea nicht auf. Andrea hält an seinem Traum fest, wieder im Spitzensport anzukommen. Der Ironman Hawaii bleibt sein großes Ziel: “Im Kopf hatte ich Hawaii als Ziel. Ich wollte nach Hawaii und dort das Podium anstreben. Daran habe ich festgehalten, als ich krank war.”
Sein Zwischenziel war der Zürich-Halbmarathon – ein Ereignis, das für ihn von enormer Bedeutung war. Seit über acht Monaten hatte er keinen Wettkampf mehr bestritten. In der Laufszene ist bekannt, dass Andrea krank ist, und am Renntag bekommt er besonders viele Glückwünsche von Kollegen.
Der Halbmarathon wird zu einem emotionalen Triumph. Andrea schafft eine Zeit von 1 Stunde 19 Minuten – deutlich langsamer als sein Rekord von 1:04, aber schneller als sein gesetztes Ziel von 1:20. “Es zeigt mir, dass ich Chancen habe. Als ich die Zeit sah, erscheint mir die Chance auf ein Comeback realistisch”, jubelt er im Ziel.
Seine Freundin Eva, die trotz eigenem Fieber zum Zieleinlauf kommt, kann ihre Tränen nicht zurückhalten. “Ich freue mich total darauf, ihn an der Startlinie anzufeuern”, hatte sie vorher gesagt. Der Moment wird zu einem Symbol der Hoffnung – nicht nur für Andrea, sondern für alle Long Covid-Betroffenen.
Auch Lisa hat einen kleinen Erfolg zu verzeichnen: Sie war zum ersten Mal seit langer Zeit für zwei Stunden in einem Restaurant, und danach ging es ihr nicht schlecht. Diese kleinen Schritte bedeuten viel für beide. Sie zeigen, dass trotz der Schwere der Krankheit kleine Fortschritte möglich sind.
Die unsichtbare Epidemie
Die Geschichten von Lisa und Andrea machen deutlich, was für ein Privileg Gesundheit eigentlich ist. Wie die Filmemacherin feststellt: “Es ist ein Phänomen, dass man das erst so richtig zu schätzen weiss, wenn man das nicht mehr hat, wenn man krank ist.”
Long Covid ist eine unsichtbare Epidemie, die parallel zur sichtbaren Pandemie verläuft. Während die akute Phase von Covid-19 überwunden scheint, kämpfen Millionen von Menschen weltweit mit den Langzeitfolgen. Persönliche Geschichten wie die von Lisa und Andrea sind wichtig, um das Bewusstsein für diese oft übersehene Realität zu schärfen.
Bei ichbinkeineinzelfall.ch verstehen wir diese Kämpfe nicht nur aus der Ferne – wir sind selbst betroffen. Auch wir erleben täglich die Herausforderungen von Long Covid und ME/CFS, kämpfen mit der IV und wissen, wie es ist, wenn der eigene Körper zum Gefängnis wird. Unsere Mitgliedschaftsoptionen bieten eine Plattform, wo sich Betroffene austauschen und gegenseitig unterstützen können.
Die Kraft der menschlichen Resilienz
Was an den Geschichten von Lisa und Andrea besonders beeindruckt, ist ihre unglaubliche mentale Stärke. Trotz aller Rückschläge und der Ungewissheit über ihre Zukunft geben sie nicht auf. “Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass die Krankheit irgendwann verschwindet, irgendwann alles wieder gut ist und ich weitermachen kann”, sagt Andrea, auch wenn er sich fragt, ob das nur Wunschdenken ist.
Lisa zeigt eine ähnliche Widerstandsfähigkeit. Obwohl sie sich oft nicht mehr wie sie selbst fühlt und ihr Leben radikal eingeschränkt ist, bewahrt sie sich ihre Hoffnung auf Besserung. Beide haben gelernt, im Moment zu leben und die kleinen Fortschritte zu schätzen.
Ihre Sportlermentalität hilft Andrea dabei, mit der Situation klarzukommen: “Ich lebe im Moment. Ich denke nicht in die Zukunft, auch nicht zu viel zurück. Heute bin ich gesund, morgen vielleicht wieder krank.” Diese Einstellung – das Akzeptieren der Unvorhersagbarkeit bei gleichzeitigem Festhalten an der Hoffnung – ist vielleicht der Schlüssel zum Überleben mit Long Covid.
Was wir daraus lernen können
Die Geschichten von Lisa und Andrea lehren uns mehrere wichtige Lektionen. Erstens: Long Covid ist real und kann jeden treffen – unabhängig von Alter, Fitness oder sozialem Status. Zweitens: Die Krankheit ist unberechenbar und vielschichtig, was sowohl die Diagnose als auch die Behandlung erschwert. Drittens: Die psychische Komponente ist genauso wichtig wie die körperliche – Hoffnung und mentale Stärke können den Unterschied zwischen Überleben und Aufgeben ausmachen.
Für die Gesellschaft bedeutet das: Wir müssen Long Covid ernst nehmen und die Betroffenen unterstützen. Das heißt nicht nur bessere medizinische Versorgung und Forschung, sondern auch Verständnis und Anerkennung für eine Krankheit, die oft unsichtbar ist, aber verheerende Auswirkungen haben kann.
Lisa und Andrea zeigen uns auch, wie wichtig soziale Unterstützung ist. Evas Unterstützung für Andrea, die Hilfe der WG-Mitbewohner für Lisa – diese Netzwerke sind überlebenswichtig für Menschen, die mit Long Covid kämpfen.
Am Ende ist es beeindruckend zu sehen, wie beide trotz allem positiv bleiben und die Hoffnung nicht aufgeben. Wie die Filmemacherin feststellt: “Das ist wohl der Schlüssel, um darüber hinwegzukommen und das Ganze durchzustehen.” Ihre Geschichten sind ein bewegendes Zeugnis über die Resilienz des menschlichen Geistes und erinnern uns daran, wie kostbar Gesundheit ist – und wie wichtig es ist, diejenigen zu unterstützen, die sie verloren haben.
Dieser Artikel basiert auf einer Schweizer Dokumentation über Long Covid-Betroffene. Die medizinischen Informationen ersetzen nicht die professionelle Beratung durch einen Arzt. Bei anhaltenden gesundheitlichen Problemen wenden Sie sich bitte an einen Mediziner.