Ist Long Covid psychosomatisch? Eine Frage, die Leben beeinflusst

Seit Beginn der Pandemie hat sich das Wissen über Covid-19 rasant entwickelt. Doch eines der komplexesten und am wenigsten verstandenen Phänomene bleibt Long Covid – die Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion. Viele Betroffene berichten von massiven Einschränkungen im Alltag, die Monate oder sogar Jahre nach der akuten Erkrankung bestehen bleiben. Doch immer wieder wird die Frage gestellt: Ist Long Covid psychosomatisch? Diese Frage geht weit über die medizinische Debatte hinaus – sie beeinflusst, wie wir Betroffene behandeln, verstehen und unterstützen.


Was bedeutet „psychosomatisch“ überhaupt?

Der Begriff „psychosomatisch“ wird oft falsch verstanden. Medizinisch beschreibt er den Zusammenhang zwischen psychischen und physischen Zuständen – wie Stress oder Traumata körperliche Symptome hervorrufen können. Diese Verbindungen sind wissenschaftlich belegt und keineswegs eine „Einbildung“. Doch in der Praxis wird der Begriff häufig benutzt, um Krankheiten abzutun oder sie als „nicht real“ darzustellen.

Gerade bei Long Covid kann diese Zuschreibung verheerend sein. Sie führt dazu, dass Betroffene sich nicht ernst genommen fühlen, dass Symptome heruntergespielt werden und dass dringend notwendige Forschung und Behandlung erschwert werden.


Die Realität von Long Covid: Kein rein psychisches Problem

Studien zeigen, dass Long Covid ein komplexes Zusammenspiel verschiedener körperlicher Mechanismen ist. Zu den häufig berichteten Symptomen gehören:

  • Erschöpfung (Fatigue): Eine lähmende Müdigkeit, die durch Schlaf nicht besser wird.
  • Kognitive Einschränkungen („Brain Fog“): Konzentrationsprobleme, Gedächtnisstörungen und geistige Erschöpfung.
  • Post-Exertional Malaise (PEM): Eine Verschlechterung der Symptome nach geringer Anstrengung.
  • Atemprobleme: Anhaltende Kurzatmigkeit und Luftnot, auch ohne erkennbare Lungenschäden.
  • Herz-Kreislauf-Probleme: Herzrasen, Kreislaufschwäche und orthostatische Intoleranz.

Diese Symptome sind nicht nur subjektive Erfahrungen. Sie haben klare physiologische Marker, wie entzündliche Prozesse, veränderte Immunreaktionen, Störungen im autonomen Nervensystem und Schäden an den Mitochondrien – den Energiekraftwerken der Zellen. Long Covid ist eine körperliche Krankheit mit realen, messbaren Veränderungen.


Warum wird Long Covid als psychosomatisch abgestempelt?

Trotz dieser Erkenntnisse gibt es immer noch Vorurteile gegenüber Long Covid. Warum?

  1. Unsichtbare Symptome: Viele der Beschwerden – wie Fatigue oder Brain Fog – sind für Außenstehende nicht sichtbar. Das macht es schwer, das Ausmaß der Krankheit zu verstehen.
  2. Unwissenheit: Long Covid ist ein neues Phänomen, und viele Ärzt:innen sind mit den Symptomen und der Diagnostik nicht vertraut. Ohne klare Antworten greifen einige auf die „psychosomatische“ Erklärung zurück.
  3. Historische Vorurteile: Chronische Krankheiten ohne klaren Biomarker – wie ME/CFS – wurden lange als „psychisch“ abgetan. Diese Stigmatisierung hat sich auf Long Covid übertragen.

Was sagt die Forschung?

Die wissenschaftliche Literatur bestätigt, dass Long Covid kein rein psychisches Phänomen ist. Studien haben folgende Mechanismen identifiziert:

  • Persistierende Virusreste: SARS-CoV-2-Reste können im Körper verbleiben und das Immunsystem aktiv halten.
  • Autoimmunreaktionen: Bei einigen Betroffenen greift das Immunsystem körpereigene Zellen an.
  • Endotheliale Dysfunktion: Schäden an den Blutgefäßen können Durchblutungsstörungen und Sauerstoffmangel in den Zellen verursachen.
  • Mitochondriale Störungen: Eine eingeschränkte Energieproduktion in den Zellen erklärt viele Symptome, insbesondere die Erschöpfung.

Diese biologischen Veränderungen sind messbar und zeigen, dass Long Covid keine „eingebildete“ Krankheit ist, sondern eine, die tief in den körperlichen Prozessen verwurzelt ist.


Der Schaden durch die Psychosomatik-Debatte

Die Frage, ob Long Covid psychosomatisch ist, hat weitreichende Folgen für die Betroffenen:

  1. Fehlbehandlung: Empfehlungen wie körperliche Aktivierung können bei Long Covid – ähnlich wie bei ME/CFS – den Zustand verschlechtern.
  2. Stigmatisierung: Viele Betroffene fühlen sich allein gelassen, missverstanden und nicht ernst genommen. Das verstärkt die psychische Belastung zusätzlich.
  3. Verzögerte Forschung: Die Diskussion um die „Echtheit“ von Long Covid lenkt von der dringend benötigten Erforschung ab und verschiebt Prioritäten.

Wie wir Betroffene besser unterstützen können

Um den Menschen mit Long Covid gerecht zu werden, brauchen wir:

  • Bildung für Ärzt:innen: Mediziner:innen müssen über die physiologischen Grundlagen von Long Covid informiert werden.
  • Förderung der Forschung: Investitionen in die Untersuchung der Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten sind essenziell.
  • Gesellschaftliches Bewusstsein: Long Covid muss als echte, körperliche Krankheit anerkannt werden – ohne Vorurteile oder Stigmatisierung.
  • Empathie und Geduld: Es ist entscheidend, den Betroffenen zuzuhören und sie ernst zu nehmen, auch wenn nicht alle Mechanismen der Krankheit vollständig verstanden sind.

Long Covid ist real

Die Frage, ob Long Covid psychosomatisch ist, sollte in dieser Form gar nicht gestellt werden. Sie verkennt die Realität der Krankheit und die Not der Betroffenen. Long Covid ist eine ernstzunehmende, körperliche Erkrankung, die Millionen von Menschen betrifft. Anstatt die Symptome zu hinterfragen, sollten wir uns darauf konzentrieren, die Krankheit besser zu verstehen und den Menschen zu helfen, die darunter leiden.

Denn am Ende zählt nicht, wie wir Long Covid nennen – sondern, dass wir denjenigen, die damit kämpfen, die Unterstützung geben, die sie brauchen und verdienen.


Die Rolle von psychischer Gesundheit als Begleitfaktor

Während Long Covid und ME/CFS keine psychosomatischen Erkrankungen sind, ist es wichtig, die psychische Gesundheit der Betroffenen nicht außer Acht zu lassen. Chronische Krankheiten gehen oft mit Angst, Depressionen und emotionaler Belastung einher – nicht, weil die Symptome „eingebildet“ sind, sondern weil das Leben mit einer schweren, oft unverstandenen Krankheit psychisch belastend ist. Es wäre sinnvoll, psychologische Unterstützung als Teil eines ganzheitlichen Ansatzes zu betrachten, um den Betroffenen besser zu helfen.


Die Wichtigkeit von Gemeinschaft und Selbsthilfegruppen

Ein oft übersehener Faktor ist die Bedeutung von Gemeinschaft. Selbsthilfegruppen für Long-Covid- und ME/CFS-Betroffene bieten nicht nur emotionale Unterstützung, sondern auch wertvolle Informationen und einen Raum, in dem sich die Menschen verstanden fühlen. Ein Abschnitt darüber, wie Betroffene durch den Austausch mit anderen ihre Erfahrungen teilen und Hoffnung schöpfen, könnte den Artikel noch persönlicher machen.


Die Rolle der Politik und Gesundheitssysteme

Ein weiterer Punkt wäre, die Verantwortung von Regierungen und Gesundheitssystemen deutlicher hervorzuheben. Es geht nicht nur um medizinische Versorgung, sondern auch um soziale Absicherung, finanzielle Unterstützung und die Schaffung von spezialisierten Zentren für Long Covid und ME/CFS. Dieser systemische Aspekt könnte mehr Gewicht bekommen, da die Betroffenen oft auf sich allein gestellt sind.


Beispiele erfolgreicher Ansätze aus anderen Ländern

Ein Blick auf Länder, die Long Covid und ME/CFS bereits besser anerkennen und behandeln, könnte dem Artikel eine optimistische Perspektive hinzufügen. Beispielsweise gibt es in Norwegen spezialisierte Zentren, und in den USA haben sich durch gezielte Forschungsförderung neue Ansätze entwickelt. Solche Beispiele könnten zeigen, dass Fortschritt möglich ist.

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