
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) ist eine komplexe neuronale Entwicklungsstörung, die sowohl Kinder als auch Erwachsene betreffen kann. Eine korrekte Diagnose ist entscheidend, um geeignete Unterstützung zu erhalten. Doch wie wird ADHS eigentlich diagnostiziert? Welche Kriterien müssen erfüllt sein? Diese strukturierte Checkliste gibt einen Überblick über den diagnostischen Prozess nach aktuellen klinischen Leitlinien.
Die Kernsymptome von ADHS
Die Diagnose von ADHS basiert auf zwei Hauptsymptombereichen. Je nach Ausprägung unterscheidet man verschiedene ADHS-Typen (vorwiegend unaufmerksam, vorwiegend hyperaktiv-impulsiv oder kombiniert).
Unaufmerksamkeit
Bei Kindern müssen mindestens sechs der folgenden Symptome vorliegen, bei Erwachsenen mindestens fünf:
- Häufige Flüchtigkeitsfehler bei Alltagsaufgaben
- Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit über längere Zeit aufrechtzuerhalten (bei Kindern weniger als 10 Minuten)
- Scheint oft nicht zuzuhören, wenn direkt angesprochen
- Beginnt Aufgaben, führt sie aber selten zu Ende
- Chronische Desorganisation (z.B. verlegte Schlüssel, vergessene Termine)
- Vermeidet oder hat Abneigung gegen Aufgaben, die längere geistige Anstrengung erfordern
- Leichte Ablenkbarkeit durch externe Reize
- Vergesslichkeit im Alltag (Hausaufgaben, Verabredungen, etc.)
Hyperaktivität und Impulsivität
Auch hier gilt: Mindestens sechs Symptome bei Kindern, mindestens fünf bei Erwachsenen:
- Zappeln mit Händen oder Füßen, Herumrutschen auf dem Stuhl
- Aufstehen in Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird
- Herumlaufen oder Klettern in unpassenden Situationen
- Unfähigkeit, ruhig zu spielen oder sich zu entspannen
- Wirkt getrieben, “als würde ein Motor laufen”
- Übermäßiges Reden oder Hereinplatzen in Gespräche
- Herausplatzen mit Antworten, bevor die Frage beendet ist
- Schwierigkeiten zu warten, bis man an der Reihe ist
Entwicklungsbezogene Diagnosekriterien
Neben den Kernsymptomen müssen für eine ADHS-Diagnose weitere Kriterien erfüllt sein:
- Symptombeginn vor dem 12. Lebensjahr: Bei Erwachsenen wird dies retrospektiv erfragt, oft mit Hilfe von alten Schulzeugnissen oder Elterninterviews
- Persistenz der Symptome über mindestens 6 Monate
- Symptome in mindestens zwei Lebensbereichen: Die Auffälligkeiten müssen sich in verschiedenen Kontexten zeigen (z.B. Schule/Beruf und zu Hause)
- Deutliche Beeinträchtigung: Die Symptome müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung im sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsniveau führen
Differentialdiagnostik: Was sonst noch abgeklärt werden sollte
Viele andere Erkrankungen können ADHS-ähnliche Symptome verursachen. Daher ist eine umfassende Abklärung wichtig:
Medizinische Untersuchungen
- Schilddrüsenfunktion (TSH, fT3, fT4)
- Schlafmedizinische Untersuchung (bei Verdacht auf Schlafstörungen)
- Neurologische Untersuchung (bei entsprechenden Auffälligkeiten)
Psychiatrische Differentialdiagnosen
- Angststörungen
- Depressionen oder bipolare Störungen
- Autismus-Spektrum-Störungen
- Posttraumatische Belastungsstörungen
Besonderheiten bei Erwachsenen
Bei Erwachsenen kann sich ADHS anders äußern als bei Kindern. Nach den Wender-Utah-Kriterien sind zusätzlich folgende Bereiche relevant:
Affektive Dysregulation
- Ausgeprägte Stimmungsschwankungen
- Emotionale Überreaktionen auf alltägliche Stressoren
- Chronische Reizbarkeit
Kognitive Desorganisation
- Chaotische Arbeits- und Lebensumgebung
- Chronisches Aufschieben von Aufgaben (Prokrastination)
- Schwierigkeiten mit dem Zeitmanagement und der Zeitwahrnehmung
Impulsivitätsmanifestationen
- Häufige Spontankäufe
- Häufige Job- oder Beziehungswechsel
- Riskantes Verhalten, insbesondere im Straßenverkehr
Diagnostische Instrumente und Tests
Für eine umfassende Diagnose werden verschiedene standardisierte Instrumente eingesetzt:
Fremdbeurteilungsskalen
- ADHS-DC: 18 Items basierend auf DSM-IV
- WRI (Wender-Reimherr-Interview): 28 Items in 7 Symptomdomänen
Selbstbeurteilungsfragebögen
- ADHS-SB: 33 Items speziell für Erwachsene
- ASRS-v1.1: WHO-Screener mit 6 Kernitems, der als erste Orientierung dienen kann
Neuropsychologische Tests
- Continuous Performance Tests: Messen die Fähigkeit, über längere Zeit aufmerksam zu bleiben
- Tests zur geteilten Aufmerksamkeit: Erfassen, wie gut jemand mehrere Informationen gleichzeitig verarbeiten kann
Diagnostische Unterschiede nach Alter
Die ADHS-Diagnose unterscheidet sich je nach Altersgruppe:
Kriterium | Kind/Jugendlicher | Erwachsener |
---|---|---|
Symptomdauer | ≥6 Monate | Lebenslange Persistenz |
Betroffene Lebensbereiche | Schule + Familie | Beruf + Partnerschaft |
Häufige Begleiterkrankungen | 40% Lernstörungen | 60% Angst/Depression |
Wichtig zu wissen
Diese Checkliste kann eine erste Orientierung bieten, ersetzt aber keinesfalls eine professionelle Diagnosestellung. ADHS kann nur von Fachleuten (Psychiater, Neurologen, spezialisierte Psychologen) diagnostiziert werden, die eine umfassende Untersuchung durchführen.
Die Diagnose ADHS sollte nie auf Basis eines einzelnen Tests oder Fragebogens gestellt werden. Sie erfordert eine ganzheitliche Betrachtung unter Einbezug von:
- Ausführlicher Anamnese (Lebensgeschichte)
- Verhaltensbeobachtung
- Testdiagnostik
- Bei Erwachsenen: Rückblickende Erfassung von Kindheitssymptomen
Bei Verdacht auf ADHS ist es wichtig, sich an entsprechende Fachstellen zu wenden. Eine korrekte Diagnose ist der erste Schritt zu einer angemessenen Behandlung und Unterstützung, die das Leben mit ADHS erheblich verbessern kann.
Hinweis: Diese Checkliste basiert auf den aktuellen diagnostischen Kriterien nach DSM-5 und ICD-10 sowie weiteren klinischen Leitlinien. Die tatsächlichen Diagnosekriterien können sich mit der Zeit ändern und werden von Fachverbänden regelmäßig aktualisiert.
ADHS-Diagnose-Checkliste: Strukturierte Erfassung nach klinischen Leitlinien
I. Kernsymptomkriterien (DSM-5/ICD-10)
A) Unaufmerksamkeit (≥6 Symptome bei Kindern, ≥5 bei Erwachsenen)
- Flüchtigkeitsfehler bei Alltagsaufgaben
- Kurze Aufmerksamkeitsspanne (<10 Min. bei Kindern)
- Scheinbares Nicht-Zuhören bei direkter Ansprache
- Unvollendete Aufgaben durch häufiges Aktivitätswechseln
- Chronische Desorganisation (verlegte Schlüssel, vergessene Termine)
- Vermeidung längerer geistiger Anstrengung
- Ablenkbarkeit durch externe Reize
- Alltagsvergesslichkeit (Hausaufgaben, Geburtstage)
Quellen:[1][3][7]
B) Hyperaktivität/Impulsivität (≥6 Symptome bei Kindern, ≥5 bei Erwachsenen)
- Zappeln mit Händen/Füßen im Sitzen
- Aufstehen bei Sitzerfordernis (Klassenzimmer, Büro)
- Rastloses Umherlaufen in unpassenden Situationen
- Unfähigkeit zu ruhigem Spiel/Entspannung
- “Getriebener” Motor-Impression
- Übermäßiges Reden/Reinrufen
- Antworten vor vollendeter Frage
- Ungeduld in Wartesituationen
Quellen:[1][6][7]
II. Entwicklungsbezogene Diagnosekriterien
- Symptombeginn: Vor dem 12. Lebensjahr (bei Erwachsenen retrospektiv erfragt)
- Persistenz: ≥6 Monate kontinuierliche Symptomatik
- Konsistenz: Manifestation in ≥2 Lebensbereichen (Schule/Beruf, Familie, Freizeit)
Quellen:[3][7][8]
III. Differentialdiagnostische Abklärung
A) Medizinische Ausschlussdiagnostik
- Schilddrüsenfunktion (TSH, fT3, fT4)
- Schlafmedizinische Untersuchung (Polysomnographie)
- Neurologische Untersuchung (EEG, MRT bei Auffälligkeiten)
B) Psychiatrische Differentialdiagnosen
- Angststörungen (Generalisiert/Sozial)
- Affektive Störungen (Depression, Bipolarität)
- Autismus-Spektrum-Störung
- Posttraumatische Belastungsstörung
Quellen:[3][6][8]
IV. Erwachsenenspezifische Kriterien (Wender-Utah)
A) Affektive Dysregulation
- Stimmungsschwankungen (Stunden- bis tagelang)
- Emotionale Überreaktion auf Stressoren
- Chronische Reizbarkeit
B) Kognitive Desorganisation
- Chaotische Arbeitsumgebung
- Chronische Prokrastination
- Fehlende Zeitwahrnehmung
C) Impulsivitätsmanifestationen
- Spontankäufe (>3x/Monat)
- Job-/Beziehungswechsel (>5 in 10 Jahren)
- Riskantes Fahrverhalten (≥2 Verkehrsdelikte)
Quellen:[4][6][8]
V. Multimodale Diagnostikinstrumente
A) Fremdbeurteilungsskalen
- ADHS-DC: 18 Items basierend auf DSM-IV[8]
- WRI: 28 Items in 7 Symptomdomänen[8]
B) Selbstbeurteilungsfragebögen
- ADHS-SB: 33 Items für Erwachsene[4]
- ASRS-v1.1: WHO-Screener mit 6 Kernitems[6]
C) Neuropsychologische Testung
- CPT-3: Continuous Performance Test
- Omissionsfehler >70. Perzentil
- Commissionsfehler >85. Perzentil
- TAP 2.3: Geteilte Aufmerksamkeit
- Reaktionszeitvariabilität >2 SD
Quellen:[1][6][8]
VI. Diagnostische Entscheidungsmatrix
Kriterium | Kind/Jugendlicher | Erwachsener |
---|---|---|
Symptomdauer | ≥6 Monate | Lebenslange Persistenz |
Lebensbereich-Betroffen | Schule + Familie | Beruf + Partnerschaft |
Komorbiditäten | 40% Lernstörungen | 60% Angst/Depression |
Biomarker | Nicht routinemäßig | Speichel-Cortisol-Tagesprofil |
Quellen:[3][7][8]
Hinweis: Diese Checkliste ersetzt keine klinische Diagnostik, sondern dient der strukturierten Erfassung. Die endgültige Diagnosestellung erfordert eine multiprofessionelle Evaluation unter Einbezug von Anamnese, Verhaltensbeobachtung und apparativer Zusatzdiagnostik. Bei Erwachsenen ist die retrospektive Erfassung von Kindheitssymptomen mittels Schulzeugnissen und Elterninterviews essenziell[2][4][6].
Quellen
[1] Checkliste AD(H)S – Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
[2] Wie wird ADHS festgestellt?
[3] Wie wird ADHS festgestellt?
[4] Habe ich eine ADHS? So erkennt man eine ADHS bei Erwachsenen.
[5] [PDF] ADS-Fragebogen für Erwachsene – praxis-neuy.de
[6] [PDF] Diagnosekriterien entsprechend DSM-IV und ICD-10 – ZI Mannheim
[7] Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität (ADHD) – MSD Manuals
[8] Störungsspezifische Verfahren zur Erfassung der ADHS-Symptomatik
[9] [PDF] Elternfragebogen bei Kindern mit Verdacht auf ADHS
[10] ADHS: Wie wird die Diagnose gestellt? – Gesundheitsinformation.de
[11] Diagnostik Erwachsenenalter – ADHS-Info
[12] Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene – HASE – Testzentrale
[13] ADHS – Symptome, Diagnostik, Therapie – Gelbe Liste
[14] [PDF] ADHS-Checkliste für Kinder (nach ICD-10)
[15] Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom – DocCheck Flexikon
[16] ADHS im Erwachsenenalter
[17] Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung – Wikipedia
[18] [PDF] 107 Fragen – Checkliste für Frauen mit ADHS und ADS
[19] Symptome & Diagnose bei Erwachsenen – elpos Schweiz